Mit dem Elektroauto zum Neusiedlersee. 130 Kilometer Autobahn in eine Richtung. Das kann doch nicht so schwierig sein. Und doch wird’s zum Erlebnis.
Samstagmittag geht’s los. Allein, mit etwa 80% geladener Batterie und guter Laune im Gepäck. Das Fahrzeug der Wahl ist die Renault ZOE R135 mit 52KWh-Akku und etwa 4000km auf der Uhr. Die Anzeige meldet 279km Reichweite, es werden hin und retour etwa 260km werden. Kein Problem, aufgeht’s! Doch die ersten 50 Kilometer steigt die Schnellstraße konstant ein wenig an und die Reichweite purzelt bedenklich. Ein guter Zeitpunkt für einen Versuch – Ist Tempo 100 auf der Autobahn das Geheimnis für hohe Reichweiten?
Aber 100km/h im PKW ist auf gut ausgebauten und einem bestens bekannten Schnellstraßen eine harte Nummer. Rechts zieht die Landschaft gemächlich vorüber, links geht es weniger gemütlich zu. Ein Schumi nach dem anderen scheint da vorbeizurasen. Aber das Bummeltempo ist wirklich Balsam für die Reichweite. Genauso wie die Tatsache, dass das Fahrtziel auf 123m Seehöhe liegt, der Ausgangspunkt der Reise aber auf 560m. Und so komme ich mit knapp 50% Restkapazität an. Wow, nur 30% Batteriekapazität verbraucht. Pfah, das geht sich heimwärts ja looocker aus. Aber auf dem Parkplatz des Seebades in Rust am Neusiedlersee gibt’s eine Ladesäule, die auch noch gratis ist. Kann ja nicht schaden, steck ich halt mal an.
Kann ja nicht so schwer sein... Das Typ2-Kabel in die Nase der ZOE gesteckt, dann in die Säule. Display gibt ́s keines, aber es blinkt ein grünes „Ready“-Licht. Schön. Nur warum tut sich da nichts? Jetzt leuchtet auch noch ein roter „Laden“-Button. Muss ich den Drücken? Steht nirgendwo. Aber probieren geht über Studieren - Mist, sie lädt nicht. Hab ich gerade die Ladung abgebrochen? Noch ein Versuch. Nur jetzt hab ich leider die Schlüsselkarte eingesteckt, sprich die ZOE sperrt sich zu, während ich den Ladevorgang noch einmal starte. Um meine Jacke zu holen muss ich sie wieder aufsperren. Worauf sie den Ladevorgang abbricht... Arrrgh! Aber beim dritten Versuch passt ́s dann. Da ich mich nur knapp eine halbe Stunde am See aufhalte, bevor ich wieder nach Hause aufbreche, starte ich mit 62% Akkukapazität. Easy peasy...
Aber mit der Geduld ist es vorbei, ich bin einfach kein Freund der Selbstkasteiung. Also rauf auf die Autobahn und mit Tacho 130 heimwärts. Jetzt läuft ́s, das ist ein akzeptables Reisetempo. Weit weniger nervig als der Dauer-Hunderter auf der Hinfahrt. Nur die Reichweite und der SoC – Ich hab dazugelernt! – fallen bedenklich. Über 100 Kilometer verloren – auf realen 40 Kilometern... Hmmm, das könnte doch knapper werden als befürchtet. Aber ich hab eh vor, am Semmering zu Abend zu essen. Dort gibt’s eine Smatrics-Ladesäule, da steck ich einfach an. Dann geht sich das locker aus. An der Raststation Schottwien angekommen, sind noch 93km Reichweite im Akku, nach Hause sind es gut 60km, fast nur noch abwärts. Geht also locker. Aber da ein bekannter E-Auto-Youtuber den Satz „Steht er, dann lädt er“ geprägt hat, will ich es ihm gleichtun und während meines Abendessens laden.
Doch die DC-Schnellladesäule ist besetzt. Mist. Ausgerechnet jetzt. Dann muss halt die alte Typ2-Säule daneben herhalten, so viel Strom brauch ich eh nicht. Als mich die Säule während der Prüfung der Ladekarte eine gefühlte Ewigkeit warten lässt, beginnt es zu regnen. Warum sind eigentlich die Zapfsäulen nebenan überdacht, die Ladesäulen aber nicht? So steh ich im beginnenden Regen und warte auf weitere Befehle der Säule. Hantiere mit dem Kabel, ärgere mich über den Abbruch der Ladung, wenn die ZOE sich selbst zusperrt und ich sie manuell wieder aufsperre, weil ich noch was aus dem Auto brauche. Also noch einmal die ganze Prozedur. Es regnet stärker. Ich stecke ab, stecke an und autorisiere mich mehrmals mit der Karte, bis es endlich funktioniert und die Ladung läuft. Währenddessen steht ein hämisch grinsender TDI-Fahrer an der Zapfsäule im Trockenen und beobachtet mich. Ich kann seine Schadenfreude fast riechen.
Aber was kümmert mich Mister Passat? Ich hab Hunger, also schnell dem Regen entfliehen und rein in die Raststation. Das Essen ist erwartungsgemäß teuer aber schmackhaft, ich halte mich eine gute halbe Stunde auf. Als ich satt und wieder gut gelaunt zum Auto gehe, schüttet es wie aus Kübeln. Also schnell weg mit dem Kabel und heimwärts. Als ich es aus dem Nasenlader der ZOE ziehe, ahne ich nicht, dass das ein Fehler war. Denn die Säule gibt mein Kabel jetzt nicht mehr frei. Nichts zu machen.Ich steh im strömenden Regen, es wird zügig dunkel, der Wind weht mir die Kapuze vom Kopf und die verdammte Säule gibt mein Kabel nicht her. Während ich mit wachsender Verzweiflung und leider ohne Erfolg versuche, mich bei der Säule wieder zu autorisieren und am Kabel rüttle, spricht mir ein junges Pärchen mit einem anderen Elektroauto Mut zu. Ich bin nass, mir ist kalt, langsam lässt die Jacke den Regen durch. Aber auch zu Dritt schaffen wir es nicht, das Kabel zu befreien. Also bleibt nur der Anruf bei der Serviceline. Wo mir freundlich erklärt wird, dass ich das Kabel zuerst aus der Säule nehmen muss, weil sie eine Diebstahlsicherung hat und das Kabel blockiert, wenn es zuerst aus dem Auto gezogen wird. Steht nirgendwo dran!
Aber der nette Herr an der Serviceline entriegelt mir das Kabel in Windeseile, es kann endlich heimwärts gehen. Ich steige völlig durchnässt ins Auto, meine Laune war schon mal besser. Klar, jetzt schaffe ich es locker nach Hause. Aber hätte ich heute auf meinem Ausflug einen E-Mobilitätskritiker mitgehabt, wären seine Vorurteile jetzt zementiert. Elektromobilität funktioniert, na klar. Aber narrensicher ist sie bei weitem noch nicht. Was ich hiermit bewiesen hätte...
Quelle und Bilder:
"Lukas Wieringer, Jahrgang 1984, ist Motorjournalist, Auto-Blogger und Benzinbruder, seit er denken kann. Egal ob Sportwagen, Offroader oder Oldtimer - er liebt sie einfach alle. Und seit seine Frau ein Elektroauto fährt, ist für ihn auch die Mobilität der Zukunft keine Zukunftsmusik mehr."